Kein Gras wächst über die Revolution

IMG_7295Das kleine Steinpodest hatte ein kurzes und bewegtes Leben. Erst gestern wurde das Denkmal zu Ehren der Märtyrer der Revolution eingeweiht und schon heute ist es nur noch eine Ruine. Dabei sollte der Sandsteinsockel in der Mitte des Kairoer Tahrirplatzes ein Angebot des Vergessens sein. Die derzeitige Militärregierung bemüht sich tatkräftig darum, die Schrecken ihrer kurzen Herrschaft 2011 unter dem Supreme Council of Armed Forces (SCAF) vergessen zu machen. Das stärkste Symbol der militärischen Gewaltherrschaft von damals ist die Schlacht in der Straße Mohammed Mahmoud, nahe dem Tahrirplatz. Zwischen dem 19. und dem 24. November 2011 wurden dort rund 50 Demonstranten getötet und mehrere Tausend verletzt. Die grausamen Bilder von Polizisten, die Demonstranten mit Schrot- und Gummimunition gezielt die Augen ausgeschossen haben, haben sich vielen Ägyptern ins Gedächtnis gebrannt.

Dass das Denkmal genau einen Tag vor dem Gedenktag an das Massaker von Mohammed Mahmoud eingeweiht wurde, zeigt die Taktik der Militärführung. Denn das Denkmal ist, auch wenn keine hundert Meter von dem Schauplatz des Massakers entfernt, nicht den Toten von Mohammed Mahmoud geweiht, sondern jenen, die in der Januarrevolution 2011 von Mubaraks Männern und jenen, die am 30. Juni von den Muslimbrüdern getötet wurden. Beide Daten symbolisieren den Schulterschluss zwischen Armee und Volk. Es ist ein Denkmal, dass, einen Tag vor dem Gedenken an die Gewalt der letzten Militärregierung, an die Volksnähe der Armee erinnern soll.

Fast erweckt es den Anschein, als wolle die jetzige Regierung, die de facto von General Sisi gelenkt wird, die gesamte Revolution vergessen machen. Das einst grüne Rondell in der Mitte des Tahrirplatzes, wo jetzt die Ruine des Denkmals steht, war seit der Revolution von 2011 nur noch ein riesiger Sandkasten in der Mitte eines großen Kreisverkehrs. Weder die Militärregierung unter General Tantawi noch die gewählte Regierung unter Mohammed Mursi hatte den Wiederaufbau des symbolträchtigen Platzes in Angriff genommen. General Sisi hingegen hat bereits kurz nach seiner Amtsübernahme damit begonnen, die äußerlichen Schäden der letzten zwei Jahre aus der Stadt zu beseitigen. Die von Panzern zerstörten Straßen wurden neu geteert und Bürgersteige wurden neu gepflastert. Und auf dem Rondell auf dem Tahrirplatz, dessen Sand sich mit dem Blut der Revolutionäre vollgesogen hat, wurde frischer Rollrasen ausgelegt.

Erst vor wenigen Wochen hatte Premierminister Hazem Beblawi erklärt, dass das Kabinett den Gouverneur von Kairo mit der Planung eines Denkmals für die „Märtyrer der zwei Revolutionen vom 25. Januar und vom 30. Juni“ beauftragt habe. Vielleicht lag es an der kurzen Planungszeit, dass das Denkmal bei seiner Eröffnung am Montag etwas unfertig wirkte. Auf einem kleinen, runden Sandsteinpodest stand ein knapp mannshoher Sockel mit einer kleinen Marmortafel. Fast hatte man den Eindruck, als fehle auf dem Sockel das eigentliche Denkmal. Denn auch die Tafel erinnert eher an eine Stiftertafel, als an eine Gedenktafel. In geschwungenen Lettern stehen dort die Namen der Politiker, die für die Tafel verantwortlich sind. Erst etwas kleiner und ganz unten wird die knappe Formulierung Beblawis wiederholt.

Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis ein junger Mann den Platz auf dem Denkmalsockel füllt. Mit einer Mubarak-Maske auf dem Gesicht steht er auf dem Podest, in seiner Hand ein Plakat: „Ich habe euch vermisst, ihr Trottel!

Hier, wo die Armee die Revolution beerdigen wollte, entsteht auf einmal etwas neues. Die Dichotomie der letzten Monate bricht auf. Die Lagerstimmung, die das Militär so sorgfältig aufgebaut hatte, die Gewissheit, dass es nur zwei Optionen, Sisi und das Militär oder Mursi und die Terroristen gäbe, bröckelt. Auf einmal werden Stimmen laut, die weder die Muslimbrüder noch die Armee wollen. Stimmen werden laut, die sagen, dass Mubarak zurück ist und die Revolutionäre um ihre Revolution und die Märtyrer um ihren Sinn betrogen wurden.

In der Nacht wird das Denkmal zerstört. Die Erinnerung der Ägypter an die Herrschaft des SCAF ist zurück. In der Nachbarstraße Mohammed Mahmoud entstehen über Nacht neue Graffitis. Dabei steht gerade ein Gesetz im Raum, dass das Anbringen von Staatszersetzenden Graffitis mit Haftstrafen von bis zu vier Jahren bestraft soll. Eines der Graffitis, das in dieser Nacht entsteht, zeigt den Polizisten El-Shenawi, der zu drei Jahren Haft verurteil wurde, weil er Demonstranten gezielt die Augen ausgeschossen hatte. Aktivisten hatten ihn erst vor wenigen Monaten mit Hilfe von Youtube-Videos überführen können. Die Relationen sind ein Hohn für die Aktivisten. Genauso wie die Rede eines Sprechers des Innenministeriums, der sein Beileid für die Toten von Mohammed Mahmoud ausdrückte. Ausgerechnet das Innenministerium, das für die Toten von Mohammed Mahmoud verantwortlich ist, Demonstranten, die gegen die Macht des Innenministeriums protestierten, betrauert heute die Toten von damals.

Heute steht auf dem zerstörten Denkmalsockel ein improvisierter Holzsarg. Eine Erinnerung an die Toten und an die kläglich verendete Revolution. Erst jetzt, wo viele Ägypter sich langsam das Scheitern der Revolution eingestehen, keimt neue Hoffnung. Heute Nacht ist ein neues Zeichen geboren worden: Eine empor gereckte Hand mit drei Fingern. Weder für Sisi noch für die Muslimbrüder. Die Leute mit dem schwarzweißen Symbol auf ihren T-Shirts und Fahnen wollen nur an ihre Toten erinnern, an die Revolution erinnern und die Gewalt beenden. Zumindest für Heute ist ein Ende der Gewalt aber nicht in Sicht. Tränengas weht über den Tahrirplatz und die Schlachtrufe der Demonstranten hallen durch ganz Downtown. Noch zeigt sich die Staatsgewalt kaum, aber die Demonstranten ahnen, dass Heute eine blutige Nacht wird

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Zenith unter:
http://www.zenithonline.de/deutsch/politik/a/artikel/kein-gras-waechst-ueber-die-revolution-003953/

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